7. Tag
Am Morgen des Mittwintertages
machten sie sich auf den Rückweg. Sie wollten zuerst zur Oase der Feen zurück, von wo sie Hilfe auf dem Weg durch die Ebene
erwarteten. Es war noch nicht Mittag, als sie dort ankamen. In der Oase erwartete sie eine große Überraschung. Ein putzmunterer
und sehr lebendiger Iss kam ihnen entgegen und sprang der sprachlosen Lena direkt in die Arme. Die Feen hatten ihn am Rande
des Berges gefunden und mit dem Wasser des Teiches seine Verletzungen geheilt. Soto war überglücklich. Er drückte Iss so fest,
daß dieser Angst hatte, bald wieder die Hilfe der Feen in Anspruch nehmen zu müssen. Soto sprang und tanzte und sang so ausgelassen
und fröhlich unter den Bäumen, daß die Vögel erschreckt aufflatterten und die Feen sich lieber in Sicherheit brachten. Sie
hatten viel zu erzählen und insbesondere Iss wollte natürlich alle Einzelheiten wissen. Als er hörte, daß Sosterat sie als
Gefangene hatte behalten wollen war er ganz aufgebracht: Dasss hätte der mal verssuchen ssollen. Iss wäre gekommen und hätte
ess ihm gesseigt!" Die anderen lachten. Lena badete erneut in dem Teich, der wie durch ein Wunder alle ihre Wunden heilte,
als wären sie nie dagewesen.
Bald aber wollten
sie Abschied von den Feen nehmen, denn sie hatten noch einen weiten Weg vor sich. Als die Feen hörten, auf welchem Weg sie
hergekommen waren lachten sie. Mahni soll euch führen. Dann seid ihr am Abend im Nirgendswald!", sagten sie. Sie waren jedoch
nicht traurig über ihren Umweg. Anders hätten sie sicher ihre Freunde nicht kennen gelernt. Aber darüber, daß der Weg nun
kürzer war waren sie auch nicht traurig. Die Feen schenkten Lena zum Abschied einen schmalen Silberring, in den in der Feensprache
die Worte: Friede dir und uns allen" eingraviert waren, was die Formel der Feen für Freundschaft war. So nahmen sie Abschied
von den Feen unter dem Versprechen, bald wiederzukommen.
Wie die Feen es
gesagt hatten, war der Weg wesentlich kürzer. Am Nachmittag kamen sie an einen Ausläufer des Sumpfes, wo Iss zurückblieb.
Biss bald, meine Freunde, meine bessten Freunde.", meinte er. Ihnen allen standen die Tränen in den Augen, aber dann dachten
sie daran, daß es ja kein Abschied für immer war und sie sich jederzeit besuchen konnten. Dann aber hoffentlich unter besseren
Umständen. Lena hob Iss hoch und gab ihm zum Abschied einen Kuß. Iss kann dir kein kosstbaress Gesssenk machen wie die Feen,
aber iss hoffe, du vergissst miss trotzdem nisst!" Nein!", lachte Lena. Wer könnnte dich je vergessen. Da vergißt man ja eher
das Gold des Königs Midas, als daß man dich vergißt!" Besonders schwer fiel Soto der Abschied. Lange sahen die beiden sich
schweigend an. Also", begann Soto. Alsso", fiel Iss ihm ins Wort. Wenn du wieder mal in der Gegend bisst, dann sstell deine
Füssse einfach in mein Wohnsimmer, du bisst jedersseit willkommen! Sie mußten lachen, bis auf Mahni, die die Sache nicht verstand.
So gingen sie weiter
und kamen gegen Abend an den Waldrand. Jetzt wollte Mahni zurück nach Hause. Soto räusperte sich: Hm, weißt du Mahni, ich
hatte bis jetzt noch nicht richtig Zeit, aber ich möchte mich bei dir wegen der Sache im Nirgendswald entschuldigen. Es tut
mir Leid!" Mahni kicherte: Ist schon in Ordnung. Es war auch nicht gerade nett von mir, die Erdbeeren im Februar reifen zu
lassen und der Wildsau ein grünes Fell zu verpassen. Wenn ich das nächste Mal komme, lasse ich diese Scherze!" Sie lachte
und lachend flog sie zur Oase zurück. So gingen sie zu dritt in den Wald und zur Höhle der Zeit.
Der Vater der Jahreszeiten
saß noch so da, wie Lena ihn verlassen hatte. Aber als sie näherkamen stand er auf und begrüßte sie: Lena! Sitan! Soto! Ihr
habt euren Auftrag erfüllt, ihr habt die Steine zurückgebracht!"
Sie hatten noch nichts gesagt, aber er wußte, daß sie die Steine hatten, er konnte sie fühlen.
Ich freue mich sehr, euch wiederzusehen. Wir haben noch etwas Zeit, bevor das Rad sich drehen muß. Setzt euch und erzählt,
was geschehen ist." Sie setzten sich um das Feuer und Lena begann. Soto fiel öfter mal ins Wort und ihre Erzählung wurde ziemlich
wirr. Trotzdem verstand der Vater der Jahreszeiten, was passiert war. Als sie fertig waren, sah er Lena tief in die Augen.
Du hast viele Freunde gewonnen und hinter dem Ring mag sich mehr verbergen, als ein Andenken. Ich hatte mit Soto gerechnet,
aber nicht mit einem Sumpfwesen oder gar den Feen. Naja, ich kann ja auch nicht alles vorhersehen."
Lena war nachdenklich
Sag, Vater der Jahreszeiten, wo war ich? Ich meine, Soto hat mir das mit dem Wald erklärt, aber wo liegt der Sumpf oder die
Steppe mit den Feen?" Weißt du es denn nicht?", fragte der Vater der Jahreszeiten zurück. Bist du nicht oft dort, in deinen
Träumen? Du hast schon recht, nicht jeder erreicht das Land der Magie wach und zu Fuß, aber jeder Mensch ist dort, wenn er
träumt, auch wenn es die meisten Menschen nicht glauben wollen. Aber du bist etwas Besonderes. Du warst im Berg der Zeit und
bist so durch das Land der Magie gewandert. Eine Fee hat dich geküßt und du hast die Steine der Winde getragen. Du wirst jederzeit
auch wach hierher zurückkehren können, denn du gehörst gewissermaßen dazu. Genug geredet jetzt, es ist Zeit. Willst du mir
helfen, das Rad des Jahrs zu drehen?
Natürlich wollte
Lena. Der Vater der Jahreszeiten legte die Steine zurück in ihre Schalen. Waren sie im Beutel weiß gewesen, leuchteten sie
nun jeder in einer anderen Farbe. Grün für den Südwind, gelb für den Westwind, rot für den Ostwind und blau für den Wind des
Nordens. Soto und Lena standen jeweils auf einer Seite des Rades und drehten es auf ein Zeichen einmal in die eine, einmal
in die andere Richtung. Der Vater der Jahreszeiten stand davor und sang ein Lied, das Lena nie vergessen würde.
Kalt ist der Wind, der im Winter tobt.
Aus den Norden kommt er,
das Eis der Gletscher bringt er,
die Pflanzen schützt er
mit einer weichen Decke aus vollkommenstem Weiß.
Dann kommt der Wind des Westens.
Er raubt den Pflanzen die Decke,
er weckt sie mit Regen,
er lockt sie mit Sonne.
Den Duft der Blumen bringt er
und trägt ihn weit über Land.
Doch reicht er nicht,
um die Früchte zu reifen.
Dies kann allein der Südwind, der den Sommer bringt.
Die Sonne läßt er scheinen,
in der die süßen Früchte reifen
und so wartet er, daß erneut die Sonne sich wendet.
Der Ostwind dämmert mit dem Herbst
Apfel und Birne bringt er, Regen und Nebel.
Er kündigt an, dass das Jahr nun endet
Bereitet das Feld für die neue Saat
Vorbote seines Bruders, des Winds des Nordens
und ein neuer Zyklus beginnt.
Während des Gesangs
hatte Lena geglaubt, alles deutlich vor sich zu sehen. Den Schnee, die Blumen, die Früchte und sie hatte sie riechen können.
Sie freute sich auf das kommende Jahr und sie wußte, so verrückt das Wetter nach Meinung der anderen auch werden sollte, es
war so in Ordnung und auch ein
bisschen ihr Werk.
SO!, meinte Soto. Ich glaube, es ist jetzt Zeit für mich Abschied zu nehmen. Ich werde im Wald jetzt eine ganze Menge zu tun
haben, schließlich ist ja alles durcheinander. Mach's gut Lena. Wir sehen uns hoffentlich bald wieder. Auch wenn er es so
leicht hin sagte merkte man, daß es ihm sehr schwer fiel. Er hatte Lena lieb und wollte sich nicht von ihr trennen. Aber er
wußte, daß sie jetzt Abschied nehmen mußten, zumindest für eine kleine Weile. Sie umarmten sich herzlich und Soto sprang und
hüpfte wie es seine Art war aus der Höhle.
Auch Lena fühlte,
daß sie wieder nach Hause mußte. Man machte sich sicher schon große Sorgen und sie hatte keine Ahnung, wie sie ihr Verschwinden
erklären sollte. Aber darüber wollte sie sich erst später Gedanken machen. Also verabschiedete sie sich vom Vater der Jahreszeiten.
Komm bald wieder Lena. Der Berg der Zeit steht dir jederzeit offen. Sitan wird dich nach Hause begleiten. Er wird sicher öfter
bei dir vorbei schauen. Auch ich möchte dir zum Abschied und zum Dank etwas schenken. Er sprach ein paar Worte in einer fremden
Sprache und plötzlich verstand Lena, was Sitan auf ihrer Schulter sagte. Komm Lena, laß uns gehen. Ich möchte endlich wieder
richtig fliegen." Der Vater der Jahreszeiten lächelte sie an. Das war es doch, was du dir gewünscht hast, nicht war? Lena
konnte nur nicken. Ja, das hatte sie sich gewünscht. Sie umarmte den Vater der Jahreszeiten zum Abschied und ging hinaus.
War es erst sechs Tage her seit sie von hier aufgebrochen war? Sie konnte es kaum glauben. Über ihr in der Luft sang Sitan
davon, wie schön es war zu fliegen, aber Lena war froh, hier auf der Erde zu sein. Es schneite und der Neuschnee knirschte
unter Lenas Füßen, als sie durch diese Mittwinternacht nach Hause ging.