4. Tag
Am Morgen weckte
sie ein stürmischer Wind, der von einem alles durchdringenden Nieselregen begleitet wurde. Ihr Frühstück war mehr als dürftig,
Sotos Beutel nahezu völlig leer. Um den verletzten Falken, dem es jedoch schon wieder besser ging zu schützen, wickelte Lena
ihn in ihren Pulli ein. Frierend brachen sie auf Dem wechselwarmen Iss fiel das Vorwärtskommen schwer. Sie waren noch nicht
weit gegangen, als sie das am Abend vorher verfehlte Ende des Sumpfes erreichten. Hier beginnt die Ebene", sagte Iss in angstvollem,
flüsterndem Ton. Warum sagst du das so ängstlich?, wollte Lena wissen. Die Ebene isst voller Sssrecken. Gefärlisse Gesspensster
leben hier. Kein Gessöpf dess Sssumpfess würde ssiss normalerweisse in die Ebene wagen." Da müssen wir aber durch.", meinte
Soto, der mit seinen scharfen Augen in Ferne den Berg entdeckt hatte. Sieht gar nicht so weit aus. Bis Mittag könnten wir
es schaffen.
Verlegen standen
sie beieinander. Keiner wollte aussprechen, daß die Zeit gekommen war, Abschied von Iss zu nehmen, der ja nur bis zum Ende
des Sumpfes mitkommen wollte. Schließlich begann Iss: Iss habe gessagt, iss würde normalerweisse den Sssumpf nie verlassen.
Aber wenn die gansse Welt verrückt sspielt isst dass ja nisst normal. Wenn ihr nisstss dagegen habt, würde iss euss gerne
weiter begleiten." Bevor Lena auch nur den Mund aufmachen konnte, fing Soto an: Natürlich! Wir freuen uns, daß du bei uns
bleibst! Nicht Lena? Einen klugen Kopf können wir immer gebrauchen! Du bist doch unser Freund!" Hatten sie sich am Tag zuvor
noch gegenseitig auf den Mond gewünscht, hatte sie das Erlebnis vom Abend zu Freunden gemacht. Lena blieb nichts weiter zu
tun als Ja gerne" zu sagen und Sitan gab ein leises Quieck" von sich, das Soto mit Ja" übersetzte. Erleichtert, um die Trennung
herumgekommen zu sein, setzten sie ihren Marsch auf den Berg fort. Soto hatte sich nach dem Bad im Sumpf und dem eisigen Wind
einen Schnupfen geholt und nieste ununterbrochen und wenn nicht, dann schimpfte er: Ein Waldgeist mit Schnupfen! Wer hat denn
sowas je gehört? Ich, der ich Sommers wie Winters im Wald herumhüpfe! Schnupfen!" Aber er konnte nach Herzenslust springen
und rennen und war von daher eigentlich recht zufrieden.
Lena fror und meinte,
ihre Füße nicht mehr zu spüren. Sitan beschwerte sich, als sie ihn fröstelnd an sich drückte. Er gab zu verstehen, daß er
lieber wieder auf ihrer Schulter sitzen würde. Das war Lena ganz recht, da sie so ihren Pullover wieder anziehen konnte. Der
Berg schien nicht näher zu kommen und es war weiter, als sie zunächst gedacht hatten. Der Nieselregen ging in einen Schneesturm
über, sie konnten kaum noch die Hand vor Augen sehen. Zu allem Überfluß mußten sie Iss, der bei diesen Temperaturen in Winterstarre
verfiel, auch noch tragen. Soto murrte: Nichts als Ärger hat man mit dieser Kröte. Erst unbedingt mitkommen wollen und dann
bei der ersten Schwierigkeit tot stellen." Aber er meinte es nicht so, und so trugen sie abwechselnd Sitan und Iss. Das Gehen
fiel ihnen schwerer, da ihnen der Schneesturm ins Gesicht blies. Eis hing innen in den Haaren und ihre Haut brannte. Schließlich
konnten sie gar nicht mehr weiter gehen. Hinter einem kleinen Felsen suchten sie Schutz. Dort saßen sie dicht beieinander,
um sich warm zu halten.
Hilflos und frierend
berieten sie über ihre Situation. Hast du eine Ahnung, wie lange dieser Sturm dauert?, fragte Lena. Nein", meinte Soto, aber
vielleicht weiß Sosterat, daß wir kommen und will uns daran hindern. Vielleicht ist es aber auch nur eine seiner Grausamkeiten."
Da meldete sich Sitan. Alles was Lena hörte waren Vogelschreie, aber sie konnte an Sotos Gesicht ablesen, daß selbst er erstaunt
war. Er sagt, das sei der Südwind. Der Südwind bringt für gewöhnlich keinen Schnee und er leidet darunter." Der Wind leidet?",
fragte Lena, aber Soto gebot ihr mit der Hand ruhig zu sein, um Sitan besser verstehen zu können. Ja er leidet und Sitan sagt,
da? es vielleicht möglich ist, mit ihm zu reden, ihn zu beruhigen Sitan kennt die vier Winde und sie kennen ihn. Vielleicht
ist der Zauber des Mittsommers noch stark genug, uns zu helfen." Der Falke schrie in den Schneesturm. Obwohl es Lena
vorkam, als ob die
Schreie im Sturm untergingen, hatte sie das Gefühl, daß der Schnee nach und der Wind weniger kalt war. Kurze Zeit später hörte es auf zu schneien und es wurde wärmer, so daß sie
weitergehen konnten. Das Gehen war kaum einfacher geworden, da der Schnee, der bis zu einem halben Meter hoch lag, zu schmelzen
begann.
Sie waren naß und
froren immer noch. Plötzlich kam eine dünne Stimme unter Lenas Arm hervor. Diese erschrak sosehr, daß sie den armen Iss, den
sie über den Sturm fast vergessen hatte, fallen ließ. Wass isst loss? Wo kommt der Sssumpf wieder her? Gehen wir wieder ssurück?
Und wiesso wirfsst du miss weg?"
Das warme Wetter
hatte ihn wieder zum Leben erweckt und es dauerte einige Zeit, dem neugierigen Iss die Sache mit dem Schneesturm und dem Wind
zu erklären. Während dieser Zeit sprang er unentwegt im Schlamm vor ihnen herum, so daß sie in Kürze aussahen, als hätten
sie darin gebadet. Der nun wieder
warme Südwind trocknete
den Matsch in Haaren und Kleidung. Total verdreckt kamen sie gegen Abend auf einem Hügel an. Auf diesem lag weder Schnee noch
Schlamm und sie beschlossen, hier zu übernachten.
Der Berg ohne Namen
schien in der Abendsonne betrachtet nicht mehr weit entfernt, aber sie hatten sich schon einmal getäuscht. Außer Iss, der
sich die meist Zeit in Winterstarre ausgeruht hatte, waren sie alle erschöpft und hungrig. Sie aßen den Rest von Sotos Vorräten
und sahen bekümmert auf die nun leere Tasche. Wo sollten sie in dieser verlassenen Ebene etwas zu essen herbekommen? Müde
und besorgt schliefen sie ein, sich fragend, was der nächste Tag wohl an Überraschungen bringen würde.